Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist seit über zwanzig Jahren ein Thema, weil sich mit ihr die Hoffnungen auf eine bessere Versorgung bei niedrigeren Kosten verbinden. Immer geht es dabei auch darum, persönliche Gesundheitsdaten irgendwie zentral zu speichern. Damit sollen Ärzte besser informiert behandeln können. Und Patienten sollen gesundheitsbewusster leben.
Nach dem Scheitern der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) soll die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) jetzt den Erfolg bringen.
Für eine Abschätzung der Wirkung der EPA auf das deutsche Gesundheitswesen lohnt sich ein Rückblick auf die Erfahrungen mit der elektronischen Gesundheitsakte (eGA). Diese hat die Unterstützung des persönlichen Gesundheitsmanagements zum Ziel.
Erfahrungen mit der elektronischen Gesundheitsakte (eGA)
Die Trustner GmbH (ex-careon GmbH) betreibt seit Januar 2001 eine elektronische Gesundheitsakte (eGA) für Versicherte von privaten und gesetzlichen Krankenkassen. Einige Jahre später wurde der
Seit 2001 haben sich etwa 500.000 Menschen eine eGA von Trustner eingerichtet. Da ungenutzte Akten nach den Datenschutzvorgaben automatisch nach einem bis zwei Jahren gelöscht werden müssen, ist der tatsächliche Bestand deutlich niedriger. Ende 2018 hatte Trustner ca. 100.000 aktive eGA-Konten.
Trustner hat 2012 eine umfangreiche Untersuchung des Nutzerverhaltens und der Nutzerwünsche durchgeführt (in Abstimmung mit den Datenschützern). Dies sind die wichtigsten Ergebnisse:
Nach fast zwanzig Jahren Erfahrung mit der eGA für Krankenkassen ergibt sich ein differenziertes Bild des Nutzerverhaltens: Die Zahl der Neuregistrierungen ist über die Jahre stabil geblieben. Ein kleiner Teil der Versicherten nutzt die eGA dauerhaft und intensiv. Auf der anderen Seite ließen sich die Nutzerzahlen nicht signifikant steigern.
Eine Reihe von Kampagnen mit neuen Features hat nichts ändern können. Der Zugriff auf die Datenbank der Stiftung Warentest, Erinnerungsfunktionen aller Art (u.a. für Schwangere und Babys), interaktive Gesundheitstests (u.a. für Diabetes) führten kurzfristig zur Steigerung der Nutzerzahlen, erhöhten die Haltequote aber nicht nachhaltig.
Die eGA ist für einen bestimmten Teil der Bevölkerung eine akzeptierte und sinnvolle Anwendung. Der weitaus größere Teil der Bevölkerung, der innerhalb eines Jahres keinen Kontakt zu Krankenhäusern, Ärzten oder anderen medizinischen Berufen hat, ist für die dauerhafte Nutzung offenbar nicht zu gewinnen. Wegen der Umsetzung der Löschpflicht, die der Datenschutz verlangt, steigt die Zahl der aktiven eGAs daher nur sehr langsam an.
Einschätzung der vom Gesetzgeber geforderten EPA
Mit der EPA, die an die Stelle der eGA treten soll, wird vorrangig das Ziel verfolgt, den Austausch von medizinischen Dokumenten zwischen Leistungserbringern zu digitalisieren und das Fax zu ersetzen. Außerdem sollen persönliche Gesundheitsdaten zukünftig in größerem Maße für gesundheitsökonomische Analysen und individualisierte Empfehlungen nutzbar sein.
Das Fax ist zwischen Ärzten immer noch der etablierte „Tele“-Kommunikationsweg. Er gilt als datenschutzkonform (was technisch zweifelhaft ist). In jedem Fall ist die Faxkommunikation ebenso wie ein Brief wenig effizient und flexibel. Fax und Brief bieten Ärzten einen eingeschränkten Nutzen. Es gibt keine direkte Rückmeldung, das Teilen von Information mit Dritten erfordert ein weiteres Fax. Der Patient ist nicht eingebunden.
Es ist nicht unmittelbar erkennbar, warum die EPA als Faxersatz gegenüber einer eGA für Ärzte und Patienten einen deutlich höheren Zusatznutzen im Sinne messbarer Kosten- und Zeitersparnisse bieten soll. Zwar kann vermutet werden, dass mehr Dokumente ausgetauscht werden. Aber ansonsten ist die EPA so wenig flexibel wie ein Fax. Das liegt einmal an der Beschränkung des digitalen Austausches auf standardisierte Formate. Zum anderen wird die EPA wie die eGA weder vollständig noch immer aktuell sein, weil der Patient die Hoheit hat.
Jeder kann sich entscheiden, seine Gesundheitshistorie unvollständig zu halten. Auch nach der Einführung der EPA wird die Mehrheit der Bevölkerung wenig Sinn darin sehen, regelmäßig auf sie zuzugreifen. Patienten werden nach einem Arztbesuch verlangen, dass Arztbriefe und ähnliches in der EPA hinterlegt werden, damit diese Daten später einem anderen Arzt übermittelt werden können. Die eGA ist hier sogar bequemer, weil sie den automatischen Import aller von den Krankenkassen bei Leistungserbringen abgerechneten Diagnosen und Leistungen bietet. Das schließt z.B. auch Medikamente und Heil- und Hilfsmittel und ihre Lieferanten ein.
Bei chronisch und schwer kranken Menschen ist der Bedarf am Austausch medizinischer Daten weitaus größer als das, was heute per Fax kommuniziert wird. Der Fokus auf der Unterstützung der Anamnese erscheint bei diesen Patienten, die besonders hohe Kosten verursachen, insgesamt etwas zu kurz gedacht. Die Zahl der Anamnese-Situationen, in denen ein Patient aus einer EPA wie schon mit einer eGA Informationen bereitstellen kann, ist wesentlich niedriger als die Zahl der medizinischen Interventionspunkte bei diesen Patienten.
Ärzte schätzen eine gute Anamnese. Aber im laufenden Versorgungsprozess hilft ihnen der kontinuierliche digitale Austausch mit Kollegen, Patienten und anderen Heilberufen weitaus mehr. Eine EPA bringt da genauso wenig wie eine eGA.
Die große Akzeptanz des digitalen Austauschs bei Ärzten und Pflegekräften (und Patienten) zeigt der seit zwei Jahren in Krankenhäusern und Arztpraxen operative Trustner-Sprechzimmerdienst. Ärzte tauschen unter der Hoheit des Patienten deutlich öfter und mehr medizinische Informationen und Dateien aus als das mit einem Fax oder einer eGA/EPA möglich ist (der Dienst funktioniert wie WhatsApp). Sie tun das, weil sie und die Pflegekräfte wertvolle Zeit sparen. Außerdem kann der Arzt/der Patient Informationen einfach mit Dritten teilen. Hinzu kommt die Digitalisierung der nicht-strukturierten Kommunikation, die Telefonate und persönliche Gespräch ersetzt.
Die EPA als Faxersatz erscheint also nicht besonders innovativ. Mit Zwang und Geld wird man Ärzte und Krankenhäuser dazu bringen, die EPAs ihrer Patienten zu befüllen. Bei der digitalen Abfrage von Daten aus einer EPA wird aber immer offen sein, ob diese überhaupt vollständig und aktuell ist. Dass sich so in der Fläche auf Seiten der Leistungserbringer Akzeptanz für die EPA der Patienten schaffen lässt, ist durchaus fraglich.
Für Patienten bzw. Versicherte besteht der Vorteil der EPA darin, dass Standard-Formate einfacher importiert und exportiert werden können als mit einer eGA. Ob das ausreicht, um mit einer EPA nachhaltig höhere Nutzerzahlen in der Bevölkerung zu erreichen, wird sich erst in fünf bis zehn Jahren zeigen. Vieles wird letztlich davon abhängen, inwieweit die digitale Massenverarbeitung von persönlichen Gesundheitsdaten tatsächlich zu spürbaren Verbesserungen für die Gesundheit der Bevölkerung führt.
Vorschlag zur Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten einer EPA
Die EPA wird kommen, da die Krankenkassen zur Bereitstellung und Finanzierung gesetzlich verpflichtet sind. Bis 2021 gibt es noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken, wie der Nutzen der EPA für eine Krankenkasse, ihre Versicherten und Ärzte erhöht werden kann.
Die EPA bietet der einzelnen Kassen mit dem Teil, der zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen dient, keine Möglichkeit der Differenzierung. Die Schnittstellen, die im Zuge der Einführung der EPA zu Systemen von Krankenhäusern und Arztpraxen geschaffen werden, sind wettbewerbsneutral. Keine EPA kann sagen, sie sie hier anderen überlegen. Allerdings kann die Infrastruktur, wenn sie einmal implementiert ist, für Zusatzdienste der Krankenkassen genutzt werden.
Trustner sieht einen erheblichen potenziellen Mehrwert in der Ergänzung der EPA durch einen flexiblen Kommunikationsdienst, der Krankenkassen, Ärzte, Versicherte/Patienten, ihre Angehörigen und sonstige Beteiligte in einfacher und datenschutzkonformer Weise vernetzen kann.
Bereits heute ermöglicht der Trustner-Kommunikationsdienst eine solche Vernetzung von Versicherten mit Leistungserbringern und Kassenmitarbeitern auch ganz ohne EPA. Dieser Kommunikationsdienst lässt sich zudem flexibel an die Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen anpassen.
Nachdem auch Apple im September 2019 die NFC-Schnittstelle freigeben wird, werden sich Nutzer von Trustner-Dienst zukünftig einfach mit ihrem neuen Personalausweis registrieren und anmelden können. Damit werden viele Anwendungen möglich, die bisher nur mit einigem Aufwand datenschutzkonform betrieben werden können.
In Verbindung mit Trustner-Kommunikationsdiensten kann die EPA eine Reihe von Anwendungsfällen unterstützen, mit denen sich für Krankenkassen nachvollziehbar Kosten sparen lassen:
Es ist nicht sinnvoll, für jeden dieser Anwendungsfälle jeweils eine Silolösung zu bauen. Mit Trustner können die jeweiligen Dienste in eine EPA integriert und maßgeschneidert entwickelt werden. Der Betrieb der Dienste kann von der Krankenkasse oder einem technischen Dienstleister übernommen werden. Krankenkassen können eigene Clients (Apps) auf der Trustner-Infrastruktur entwickeln bzw. Trustner-Dienste in ihre vorhandenen Clients/Apps einbauen.
Fazit
Für Krankenkassen und ihre Versicherten erscheint die geplante EPA der eGA zunächst einmal nicht grundsätzlich überlegen. Warum Menschen anders als bei der eGA plötzlich in großen Zahlen eine EPA einrichten und nutzen sollten, ist unklar. Allerdings schafft die Einführung der EPA einen wichtigen Baustein für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Leistungserbringer (genauer: ihre Softwarelieferanten) werden wie bei der Teilnahme an den gesetzlichen DMP gezwungen, Schnittstellen zu externen technischen Systemen einzurichten. Diese technischen Grundlagen müssen jetzt innovativ genutzt werden, um die erheblichen Aufwände zu rechtfertigen. Mit der Ergänzung der EPA um unabhängige Kommunikationsdienste wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen große Fortschritte machen können.